Findet Algerien jetzt Frieden?

Findet Algerien jetzt Frieden?

Hamburger Abendblatt 3.10.2005

Referendum: 97,5 Prozent stimmen Amnestie für Islamisten zu. Das Ergebnis des Referendums riecht nach Betrug. Aber das Volk ist müde. Es will wirklich Ruhe. Von Sylvia Wania Hamburg – Das Ergebnis der Wahl ist verdächtig eindeutig. Mit 97,43 Prozent haben die Algerier für die « Charta für Frieden und nationale Versöhnung » gestimmt und damit die Macht von Abdelazis Bouteflika, algerischer Staatspräsident mit autoritären Vollmachten und eiserner Hand, zementiert. Dennoch spricht viel dafür, daß es der Staatschef diesmal gar nicht nötig hatte, bei dem Ergebnis des Referendums großzügig aufzurunden. Nach rund 14 Jahren des Terrors mit 150 000 Toten ist die Sehnsucht der Menschen nach Ruhe und ein wenig Normalität so übermächtig, daß sie für ein Ende des Bürgerkriegs auch eine Amnestie der Täter in Kauf nehmen. Nach dem Plan zur Versöhnung, dessen Annahme Bouteflika seinen Landsleuten ans Herz gelegt hatte, sollen reumütige Täter trotz ihrer Verbrechen straffrei bleiben, vorausgesetzt sie haben den bewaffneten Kampf beendet und waren nicht an Massakern, Bombenanschlägen und Vergewaltigungen beteiligt. Oppositionsparteien argwöhnen, Bouteflika wolle die Strafverfolgung von Folterpolizisten verhindern. Menschenrechtsorganisationen wiederum kritisieren, daß aus einer Amnestie kein sozialer Frieden und kein Rechtsstaat erwachsen könne. Rückblick auf ein blutiges Jahrzehnt, in dem eine in Terror und Korruption gefangene Gesellschaft für eine Politik teuer bezahlen mußte, die sie nicht gewollt hat. 1992 annulierten die mächtigen Militärs das Ergebnis der ersten freien Parlamentswahl und betrogen die islamische Heilsfront FIS um ihren sicheren Wahlsieg. Die Partei, die sich als Anwalt der sozial Schwachen gab, wurde verboten. Ihre Führer gingen in den Untergrund und sagten mit wahllosen Terrorattacken der Regierung den Kampf an. Die Machthaber in Algier schlugen ebenso gnadenlos zurück. Die Gewalt eskalierte zu einem beispiellosen Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Nicht selten wurden ganze Dörfer ausgerottet. Die Täter waren oft zugleich Opfer. Hinter den Morden und Massakern standen bewaffnete Islamisten ebenso wie Todesschwadrone der Armee, getarnte Sicherheitskräfte der Regierung oder kriminelle Banden. Als die FIS der Gewalt abschwor, hatten sich längst die Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) von ihr abgespalten, die trotz oder auch gerade wegen der Unterwanderung durch Armeeangehörige das nordafrikanische Land mit 32 Millionen Einwohnern in Schrecken hielten. Noch heute gilt in Algerien, 1962 von Frankreich in die Unabhängigkeit entlassen, der Ausnahmezustand. Bouteflika, in institutioneller Fassadendemokratie als Wunschkandidat der Armee 1999 zum Präsidenten Algeriens gewählt, war von Anfang an für Versöhnung eingetreten. Schon damals hatte er Gespräche mit der FIS versprochen – außer mit Leuten, « an deren Händen Blut » klebt. Für welche Politik der Mann mit dem schmalen Oberlippenbart tatsächlich steht, wurde bislang nicht klar, obwohl er zum Urgestein algerischer Politik zählt und schon 1963 im Alter von 26 Jahren Außenminister wurde. Wer im Bürgerkrieg Gewalt erlitten habe, müsse jetzt « im Interesse des Volkes » noch einmal ein Opfer bringen, hatte Bouteflika erklärt. Die Zukunft soll dem wirtschaftlichen Aufbau gehören. Für die Familien jener 6000 Menschen, die im Bürgerkrieg verschleppt wurden und seitdem « verschwunden » blieben, sieht sein Versöhnungsplan Schmerzensgeldzahlungen vor. Dazu heißt es in der französischen « Liberation »: « Völker, die ihre Vergangenheit vergessen, sind dazu verurteilt, ihre Fehler zu wiederholen. » So fragt das Blatt: « Reicht es, eine blutverschmierte Fassade zu tünchen? » erschienen am 1. Oktober 2005